Grenzen

 

Dieser Text soll zeigen, wie wichtig Grenzen in der Welt und in unserem Denken sind. Hier wird nur von dem dreidimensionalen Raum und der Zeit ausgegangen, um das Denken nicht zu abstrakt werden zu lassen. Überlegungen zu Räumen, die darüber hinausgehen, können später folgen.

 

Wenn hier das Wort "Sachen" vorkommt, so denke man der Einfachheit halber an materielle Sachen, obwohl ich das Wort unter anderem auch für Geschehnisse verwende. Ein Geschehnis ist eigentlich eine Aufeinanderfolge sich ändernder Sachen. (z.B. eine chemische Reaktion, eine mechanische Umwandlung, ein Verkehrsunfall). Obwohl es Sachen geben kann, die nicht-materieller Natur sind, werden diese hier beiseite gelassen.

 

Grenzen und Raum

 

Nun folgen zwei gegensätzliche Satzgruppen:

 

(1) Eins geht in das andere über. Keine Sache ist für sich allein. Und kein Wesen ist für sich allein. Marc Aurel schrieb: Wer sich von einem Menschen trennt, trennt sich von der ganzen Welt. Auch mein Text zum Solipsismus deutet auf eine Grenzenlosigkeit eines jeden in der Welt hin. Was hier für Subjekte gilt, gilt gleichwohl für sonstige Sachen.

 

(2) Es gibt Grenzen und Abgrenzungen. Sie müssen angenommen werden. Möglicherweise müssen sie als absolut angesehen werden. Jede Sache soll für sich allein sein. Wäre es umgekehrt, würde es nichts Festes geben, zumindest könnte nichts Festes gedacht werden, alles wäre verschwommen oder grau, ohne Kontrast, alles wäre ein Brei. Eine besondere Grenze ist die, die jeder um sich selbst herum denkt, und dann sagt, daß alles um ihn herum nur seine Umwelt sei. Weil jeder dies für sich tut, ist die Welt voller subjektiver Grenzen. Wer die umgebenden Sachen ihm gehörig zuordnet, hat zusätzlich eine andere Grenze, und derartige Grenzen können die Grenzen anderer Subjekte durchkreuzen.

 

Kernpunkte:

(1) Keine Sache ist für sich allein.

(2) Jede Sache ist für sich allein.

 

(1) Es gibt keine Grenzen.

(2) Es gibt Grenzen.

 

(1) Jede Sache hat mit allen anderen Sachen zu tun.

(2) Keine Sache hat mit einer anderen zu tun.

 

(1) Es gibt eigentlich keine Sachen.

(2) Es gibt nur Sachen.

 

Sind alle Grenzen unnatürlich, nur hinzugedacht? Wie ist es mit den Grenzen allgemein? Hat Grenze etwas mit Abgrenzen zu tun, mit Definieren? Wie grenzt ein Subjekt sich von der übrigen Welt ab? Kann es ein Denken ohne Abgrenzen gegenüber dem Gedachten geben, ein Denken ohne Abstraktion? Haben Grenzen mit dem Absoluten zu tun, und alles andere mit Relativem, oder anders gefragt, wird durch Grenzen das Abgegrenzte absolut, und werden die Sachen bei Nicht-Abgrenzung relativ?

 

Nicht alle diese Fragen werden hier behandelt, geschweige denn beantwortet, nicht alle sind unbedingt sinnvoll.

 

Grenzen und Zeit

 

Die zwei oben genannten Satzgruppen, auf die Zeit angewandt, werden zu:

 

(1) Nichts ist zeitlich begrenzt, alles war schon und alles bleibt bestehen.

(2) Alle Sachen sind zeitlich begrenzt, es entstehen immer neue.

 

Selbstverständlich kann hier an Heraklit vs. Parmenides gedacht werden, an Mystik usw. Aber hier soll es um etwas anderes gehen.

 

Eine Kombination von räumlicher und zeitlicher Grenze ergibt für (2) die Sätze: Nichts geht verloren. Und wenn es Form-Änderungen gibt, so sind diese nicht so wichtig, die Sache bleibt. Nichts kommt zurück. Jede Sache ist einmalig.

 

Es ist offensichtlich, daß die extremen Positionen unhaltbar sind. In den Satzgruppen und ihren Mischformen sind die Widersprüche leicht zu erkennen. Die Art dieser Widersprüche ist, daß Sachen gedacht werden, die alsdann nicht mehr gedacht werden sollen wie unmittelbar zuvor. Diese Widersprüche verleiten uns nicht, Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Ein Satz wie „Schwefel ist gelb“ enthält schon die Frage, was vorher war, was nachher, und die Frage, ob Schwefel eigentlich farblos ist, und dann doch gelb. Offensichtlich wird Schwefel einmal mit seiner Farbe, ein andermal ohne sie gedacht. Gehört die Farbe nun zum Schwefel oder nicht? Die Begrenzung ist beliebig, und in diesem Falle nur fiktiv. Wenn nun, wie beim Schwefel, die Sache einmal so, ein andermal anders sein kann, nämlich nicht mehr gelb, dann kommen Satzwendungen vor, bei denen an einen nicht ändernden Kern der Sache gedacht wird. So wird gesagt, daß die Sache in verschiedenen Zuständen sein kann, oder daß sie mit verschiedenen Eigenschaften auftritt, je nach Umstand. So ist flüssiger Schwefel immer noch Schwefel, und die Grippe ist immer noch eigentlich oder wesentlich der Virus, der sie verursacht. Ein Widerspruch ist in diesem Satz wie im Satz mit dem farblosen Schwefel. Ob die Sätze und damit die Sprache hier versagen, ist noch ungewiß, auch wenn offensichtlich nur die Bilder der entsprechenden Sachen die wahren Verhältnisse zu denken geben. Und eine Skepsis ist vor Sätzen angebracht, welche die Wörter „eigentlich“, „wesentlich“ enthalten, und keine Bilder zum Verständnis angegeben werden können, wenn sie die Bedeutung also aus den Sätzen aus anderen Bereichen übernehmen wollen, bei denen die Bilder problemlos hergestellt werden können.

 

Die Art der Grenzen

 

Die räumliche Grenze einer Sache

 

Diese hängt von den Dimensionen ab, in denen die Sache sich befindet. Wenn es um Sachen geht, die sich in einem dreidimensionalen Raum befinden, ist die gedachte Grenze zweidimensional. Die Kräfte, die den Zusammenhalt einer Sache gewährleisten, bewahren auch die Grenze. Oder es muß irgendeine schützende Sache vorliegen, etwa eine Haut, die das Ausfließen der Sache in ihre Umwelt verhindert.

 

Die zwei zeitlichen Grenzen einer Sache

 

Wann beginnt eine Sache, wann hört sie auf? Zeitgrenzen haben als Zeitpunkte keine Dimension: Sachen beginnen zu einem Zeitpunkt, und enden zu einem anderen. Dazwischen ist die Dauer der Sache. Sicher kann auch darüber gestritten werden, wann eine Sache genau anfängt, und wann sie genau aufhört. Man denke z.B. an ein Lebewesen, den Zeitpunkt oder die Zeitdauer seiner Geburt, und den Zeitpunkt seines Todes oder die Dauer seines Sterbens. In diesem Falle kann Uneinigkeit bestehen, wann das Leben anfängt, und wann es aufhört. So kann zur Dauer der Sache noch eine Dauer des Anfangens gedacht werden, und eine Dauer des Aufhörens. Damit gibt es mehrere Auffassungen, und zwar diejenige, nach der die Dauer des Anfangens zur Sache gehört, oder auch nicht, und analog dazu bei der Dauer des Aufhörens.

 

Das Leben beginnt spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem das Wesen die Dauer der Geburt schon hinter sich hat. Das Leben ist sicher vorbei, wenn das Sterben aufgehört hat. Die Frage eines Epikureers: "Warum sollte ich Angst vor dem Tode haben: wenn ich bin, ist nicht der Tod, wenn der Tod ist, bin ich nicht mehr." setzt sich über die Dauer des Sterbens hinweg. Es kann Versuche geben, die Dauer mit Hilfe von Kriterien zu negieren. So kann nach Definitionen gesucht werden, bei der eine Sache zu einem Zeitpunkt genau entsteht, und einen, an dem sie genau endet.

 

Ein weiteres Beispiel zeigt, daß der Zeitpunkt des Beginns einer Sache verschieden sein kann je nach Kriterium: Ein Schrank, der in einer Schreinerwerkstatt hergestellt wird, mag ab einem bestimmten Zeitpunkt schon als solcher benutzt werden, obwohl er für den Schreiner noch nicht fertig ist, z.B. weil gewisse dekorative Elemente noch fehlen.

 

Es gibt Sachen, deren Ende mit dem Beginn einer anderen Sache übereinstimmt. An dem Zeitpunkt wandelt sich die Sache um. Auch hier, z.B. bei einer chemischen Reaktion, geschieht diese in einem Zeitraum, sie ist auch als Sache anzusehen.

 

Dann gibt es Sachen, die auf ähnliche Weise neu entstehen, z.B. zwei Vulkanausbrüche, zwischen denen eine langjährige Ruhepause lag. Das Wort für die spezielle Sache ist hier zwar dasselbe, aber die zwei Sachen können völlig verschieden ablaufen.

 

Weitere Beispiele für Zeitgrenzen, die eine Dauer haben, wenn man genau hinguckt: Beginn einer Erkrankung, Verschmelzung von Atomen, Verkehrsunfall.

 

Beschreibung einer Sache

 

Mit Überlegungen wie sie hier angestellt wurden, können Sachen bedacht und irgendwie verstanden werden. Dabei werden die Grenzen der Sachen zwar bedacht, aber keineswegs wissenschaftlich genau nachvollzogen. Die genaue Aufzeichnung der Grenzen einer Sache auf einem xyzt-Plan dürfte demgegenüber also ein ganz anderer Zugang zu den Sachen sein, wobei versucht wird, Kopien auf Papier, Filme oder in Computer hinein herzustellen. Wenn wir uns in einem tierischen Körper die Organe vorstellen, so sind diese zwar schön voneinander abgegrenzt, das Primäre ist uns aber nicht ihre Dimension, ihr Volumen, ihre Form, und ihre Position im Raumzeitkontinuum, sondern ihre Abgrenzung von den anderen Organen, die wiederum nicht einmal so abrupt zu sein braucht. Auch wenn es mit hohem Aufwand theoretisch möglich wäre, die genauen Daten (ändernde Größe eines Teils, seine Bewegungen) zu verfolgen oder mit Funktionen zu beschreiben, so wäre das nur der Versuch, das Gesehene ein zweitesmal herzustellen, sozusagen als Kopie, auf einem Plan. Für manche Wissenschaftler ist es offensichtlich, daß diese Daten die Sache selbst einzig und allein beschreiben, daß nur mit genauen und derartigen Aufzeichnungen ein Zugang zu den Sachen möglich ist, und daß die allzu einfachen Überlegungen nicht weiterhelfen. Die genauen Bilder der Sachen helfen jedenfalls, wenn z.B. eine Operation an einem Organ vorgenommen werden soll.

 

Gedachte räumliche Grenzen überall

 

Angenommen wir haben einen Apfel vor uns liegen. Wenn wir für ihn das Wort Apfel benutzen, denken wir ihn gleichzeitig begrenzt. Er ist begrenzt durch die scheinbar von ihm selbst vorgegebene Grenze, die wir nur feststellen. Deswegen können wir diese Art Grenze als natürliche ansehen.

 

Ein Stuhl, den wir täglich benutzen, hat ebenso eine Grenze, die wir so selbstverständlich ansehen wie die vorhin gezeigte am Apfel. Der Stuhl ist auch begrenzt durch die vorgegebene Grenze, aber seine Grenze ist nicht so natürlich wie die beim Apfel. Denn der Stuhl ist nicht so entstanden wie ein Apfel, sondern er wurde aus Teilen zusammengesetzt, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten.

 

Eine Grenze kann zwischen unterschiedliche Sachen gedacht werden. Auf diese Weise werden Sachen definiert. Und mit Grenzen können gleichartige Sachen geteilt gedacht werden. Wenn zwei Personen ihren Lebensraum aufteilen, damit jeder sich um seine Sachen kümmere, denken sie eine dazu dienende Grenze. Diese Art Grenze ist wiederum eine andere als die vorhin genannte. Solche Grenzen wie z.B. Ländergrenzen können nach Einwirkung von Kräften verschoben werden. Auch hat alles Wachsende ändernde Grenzen.

 

Wenn eine Sache vorliegt, kann sich die Frage stellen, was zu ihr gehört, und was nicht. Um die Sache herum, mitsamt dem, was zu ihr gehört, kann eine Grenze gezogen werden.

 

Wenn eine Sache geteilt wird, entstehen zwei neue Sachen. Dadurch bekommt jedes Teil seine eigene Grenze. Ein Stein, in zwei geschlagen, wird zu zwei Steinen. Ein Fahrzeug, in zwei geteilt, ergibt nicht zwei Fahrzeuge sondern bedeutet das zeitliche Ende des Fahrzeuges. Auch der zerschlagene Stein ist am Ende nicht mehr.

 

Jede Beschränkung, jede Abstraktion ist auch eine Trennung, manchmal nur in Gedanken. Manchmal ist die Abstraktion zeitlich begrenzt.

 

Der Tod (als zeitliche Grenze) bringt die eigene räumliche Grenze mit der Zeit auch zum Verschwinden. Antibiotika wirken bekanntlich auf die Zellhülle, zerstören diese, so daß die Zelle nicht mehr umgrenzt ist und damit stirbt.

 

Geiz ist ein Problem der Grenze und der Bevorzugung der Sachen innerhalb einer gedachten umgebenden Grenze, kombiniert mit einer Pflege dessen, was innerhalb der Grenze ist, und einer Gleichgültigkeit gegenüber allem, was außerhalb der Grenze ist. Eventuell besteht dann noch die Suche, möglichst viele Güter in den eigenen Bereich hinein zu bringen.

 

Das Modewort Globalisierung deutet auf eine Grenzenlosigkeit auf der Erde hin, eher was die Umwelteinflüsse, die Kapitalbewegungen und die Migrationen anbelangt. Das Wort geht einher mit Hoffnungen und Befürchtungen unserer Artgenossen.

 

Wenn eine Person sich mit einer anderen partnerschaftlich bindet, denkt sie eine Grenze um die Partnerschaft herum. Sogar wenn eine Person mit einer anderen spricht, denkt sie an eine umgebende räumliche Grenze, die von vornherein von einer dritten nur verletzt werden kann.

 

Zu jeder Gruppe in einer Gesellschaft gehört eine entsprechende Grenze, und Änderungen der Gruppe gehen mit Änderungen der Grenze einher. Das gesamte gesellschaftliche Leben wird durch Grenzen bestimmt.

 

Indem Personen sich ihren Idealen oder ihrer Gruppe anzupassen versuchen, grenzen sie sich von den Personen ab, die dies nicht tun, oder die gegenteilige Ideale verfolgen. Gegebenenfalls erinnere man sich ständig, daß jede Assoziation mit einer Person oder einer Gruppe von Personen ein Herstellen einer Grenze ist. Ob man dabei seine eigene Grenze weiter faßt oder nicht, das ist eine andere Frage. Ich denke hierbei immer an die gedachte räumliche Grenze. Auch wenn die Gruppenmitglieder räumlich auseinander leben, wird doch so gedacht, als wären sie zusammen. Etwa indem jeder sich nach außen hin mit einem "wir" vertritt.

 

Fiktive Grenzen, die ein geschlossenes/offenes System umgrenzen

 

Wissenschaftler, die das Wort System in o.g. Sinne gebrauchen, setzen die Grenze für ihr System manchmal beliebig. Auch in anderen technischen Geräten wird die gedachte Grenze eines Gerätes oft beliebig gedacht. So wird ein Fahrzeug normalerweise als offenes System gedacht, weil die Brennstoffe, die es braucht, von außen kommen, und die Abgase nach außen gehen. Wird jedoch zu dem Fahrzeug der Brennstofftank hinzugerechnet, und ist auch für die Verbrennungsluft wie für die Abgase ein Raum vorgesehen, und um das Ganze wird eine Grenze gedacht, so kann dieses Ganze als abgeschlossenes System gedacht werden. Diese Grenze kann gedacht werden, sie könnte aber auch realisiert werden. In dem Falle ist die Grenzsetzung eine Methode zum Zweck eines genauen Berechnens.

 

Innen / Außen nur hingedacht, künstliche Grenzsetzung

 

Ein Subjekt oder ein System kann auf Anstöße von außen agieren bzw. reagieren. Ebenso kann es dies auch auf Anstöße hin, die von innen kommen. Wie vorhin beim geschlossenen/offenen System ist es möglich, alles das aus dem System herauszudenken, was man schon kennt. Dadurch wird das Unbekannte am zu Untersuchenden immer kleiner. Analog dazu ist es möglich, das was außerhalb der Grenze ist, der Sache zugehörig zu denken.

 

Das Umgrenzte mag gleich gedacht werden, auch wenn ihm Teile entnommen werden

 

Bei einer Operation, bei der ein Körperteil entfernt wird, und durch einen anderen ersetzt wird, wird die Person nach der Operation meist noch als die gleiche angesehen. Im Extremfall könnte man sich ein Wesen vorstellen, von dem man ein Teil wegschneidet, das alsdann wieder nachwächst, und so fortfahren, bis alle möglichen Teile ersetzt sind. Dabei könnte man immer noch denken, daß immer dasselbe Wesen vorhanden ist. Bei dem natürlichen Absterben der Zellen werden diese im Leben eventuell öfters ersetzt, und es wird immer an dasselbe Lebewesen gedacht. Ebenso ist ein Gemälde vorstellbar, das über Jahrhunderte überall retouchiert wurde, so daß kein Originalteil mehr vorhanden wäre, und doch würde jeder den Gedanken haben können, er habe das Original vor sich.

 

Bestimmte, unbestimmte Grenzsetzung

 

Vor dem Nachbarn überwacht jeder genau seine Grenze, und jeder König weiß genau, wo sein Reich endet. Und viele sind ständig dabei, ihre Grenzen nach außen hin abzustecken, eventuell zu erweitern, oder aber gute Sachen zu vereinnahmen, und schlechte zu veräußern.

 

Raubtiere haben eine Grenze, innerhalb derer sie Ankömmlinge überwachen, und eine weitere ihnen nähere Grenze, innerhalb derer sie angreifen.

 

Wenn eine Person eine andere sieht, denkt sie sich diese umgrenzt von ihrer Körpergrenze, von ihren Kleidern, ihrem Besitz und Reichtum, von ihrer Familie oder ihrem gesamten Machtbereich.

 

Die Grenze können wir uns vorstellen wie ein um das Subjekt oder die Sache gelegtes Seil oder wie eine Haut. Dann kann man diese sich von außen her vorstellen, oder von innen her, wenn man selber Subjekt ist.

 

Oder die Grenze kann für denjenigen, der sie scheinbar verteidigt, als solche unbekannt sein: ein Raubtier braucht sich nur nach der Größe des Eindringlings im Gesichtsfeld zu richten, ohne einen Kreis um sich herum auf der Erde gezeichnet zu denken. Jetzt kann auch gedacht werden, daß das Denken einer Grenze auch mit dem Denken von Distanzen und Größen einhergehen kann. Ein Raumverständnis braucht dazu nicht vorhanden zu sein, ebenso braucht das Wesen, das seine Grenze schützt, nicht so denken zu können, wie die Krone der Schöpfung zu denken vermeint.

 

Eine andere Grenze je nach Kriterium

 

Die gerade gezeigten Beispiele zeigen auch, daß je nach Umstand andere Grenzen beachtet oder gedacht werden. Eine Sache kann mit ihren Teilen gesehen werden, und dann können die zwischen den Teilen vorhandenen Grenzen gedacht werden. Wie eine Sache aufgeteilt wird, das kann von genutzten Kriterien abhängen. Je nach Kriterien entstehen andere Teile und andere Grenzen. Ein Politiker wird die Erde anders aufgeteilt sehen als ein Klimaforscher.

 

Folgen der Grenzsetzung

 

Wenn eine Sache schon mit Grenzen zerlegt gedacht wird, stört dieses Denken das Setzen neuer Grenzen mit anderen Kriterien. So übersieht derjenige die Sprachgrenzen der Erde, wenn er sie in nationale Länder aufgeteilt denkt. Genauer gesagt, wer in der Geschichte immer nur auf die bestehenden Länder und Herrscher blickt, und die Verschiebung der jeweiligen Grenzen durch Kriege, der hat alle anderen vielleicht realeren Bedingungen nicht mehr im Blick, wie z.B. Sprachgruppeneinflüsse, Volkszugehörigkeitsgefühle, Klimazonen, natürliche Hindernisse, Ideologien aller Art usw.

 

Folgen der Grenzsetzung durch Personen um sich herum

 

Die von einer Person A gedachten Grenzen werden einer Person B gewahr, einerseits wenn sie materieller Natur sind (Umzäunung, Mauern), andererseits durch eine eventuell abwehrende Haltung. A kann versuchen, die Grenzen zu verstärken, oder sie abzubauen. B kann versuchen, die Grenzen zu stören oder zu zerstören.

 

Bereiche, innerhalb derer Subjekte tätig sind

 

Folgende Frage soll Aufschluß darüber geben, wie sehr ein Subjekt sich ändert je nach Zeitpunkt: "Angenommen, du müßtest bald sterben. Wofür würdest du deine Zeit und deine Mittel dann noch bis zum Ende einsetzen wollen? Etwa für deine Familie, deine Freunde, für das Bekämpfen deiner Feinde? Wären die Personen und Zusammenhänge, für die oder gegen die du etwas machen wolltest, vor Tagen, Wochen, Monaten, Jahren die gleichen gewesen? Und wenn ich dir die Frage vor Jahren gestellt hätte, wären die Personen und Zusammenhänge die gleichen gewesen?" Daraus wird sich schließen lassen, daß die Bereiche und die wichtigen Grenzen sich mit der Zeit ändern bei ein und derselben Person. Allein die Unbeständigkeit der Personen bezüglich der von ihnen abgesteckten Grenzen ist mit ein Grund dazu, daß so viele Verträge (bzgl. Besitz, Ehe, Erbschaft) abgeschlossen werden, und daß viele Gesetze überwiegend Grenzen zum Thema haben.

 

Insbesondere das Denken an die Satzgruppe (1) und die hier erläuterten Unsicherheiten können einer Person bezüglich ihrer Umwelt zu denken geben. Der übliche Egoismus stellt sich mit in Frage, die Grenze zwischen den Nächsten und der Außenwelt und dem Subjekt kann zerbrechen. In dem gesamten Bereich des Mein und Dein gibt es keine Sicherheit mehr. Hier gibt man freiwillig alles an andere, wenn man sich nur mit ihnen verbunden fühlt, nicht aber an diejenigen, mit denen man bisher die meiste Zeit verbracht hat.

 

Was sehen wir zuerst: Das Ganze einer Sache, ihre Begrenzung oder ihre Teile?

 

Meist werden wir ein Ganzes sehen, im nachhinein seine Teile. Zu diesem Thema kann der Gestaltismus bedacht werden, ebenso wie seine gegensätzliche Theorie.

 

Einerseits wird ein Subjekt eine Sache als solche dann erstmalig erkennen, wenn sie sich von anderen unterscheidet, die Aufmerksamkeit mehr erregt als eine andere, danach wird sie erst ihre Grenzen zu erkennen geben, und dann, daß sie aus Teilen zusammengesetzt zu sein scheint.

 

Andererseits scheint ein Baum eine natürliche Zusammenstellung seiner Teile zu sein.

 

Beliebigkeit der Grenze, nur der spätere Erfolg der Grenzsetzung entscheidet für die Sinnhaftigkeit der Grenzsetzung

 

Viele der oben genannten Beispiele deuten darauf hin, daß die Grenzsetzung allgemein sehr beliebig ist. Eine Sache kann mit einer weiteren oder engeren Grenze bedacht werden. Es ist unsicher, was zu einer Sache gehört, und was nicht. Es gibt vielleicht keine natürlichen Grenzen, Grenzsetzung scheint immer nur fiktiv im Sinne von Hans Vaihinger zu sein. Diese Innen-Außen-Grenzsetzung ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Grenzsetzung. Wie schon gesagt, gilt alles gleichermaßen für Sachen, Subjekte usw., andererseits bezüglich Raum und Zeit.

 

Für jede Sache, jedes Begrenzte kann ein Wort benutzt werden. Dann wird die Sache als fest angesehen, was ja nicht der Fall ist. Sie fixiert sich mit dem Wort. Mit der Zeit jedoch entstehen bei Unsicherheit der Grenze auch Zweifel am Wort. Die Personen suchen neue Definitionen für das Wort.

 

Wenn ein Wort für ein Umgrenztes benutzt wird, wird nur noch unbestimmt daran gedacht, wie und wo die Sache begrenzt ist. Dann ist die Benutzung eines Wortes ein unglücklicher Zugang zu den Sachen. Dies versuche ich zu vermeiden. Insbesondere dann, wenn noch andere Kriterien für das Wort zutreffen sollen. Man denke z.B. an das Wort "Partei". Hier kann jedenfalls an die Grenze gedacht werden, um die Partei herum. Mitglieder können sie denken, Nichtmitglieder und Gegner können sie anders oder ebenso denken.

 

Es gibt Wörter, die für etwas räumlich oder zeitlich Begrenztes benutzt werden, so z.B. die Wörter Haus, Atom, Person bzw. Sonnenuntergang, Schlaf usw. Eine eventuelle Kritik der Wörter muß an der entsprechenden Grenzsetzung ansetzen. Oft wird als Ganzes gefaßt, was aus Teilen besteht. Manchmal ist das sinnvoll, manchmal nicht. Ist etwa das Wort "Straftat" sinnvoll? Wann beginnt sie, wann endet sie? Hat sie einen Sinn nur beim Gericht? Kann sie überhaupt als Ganzes angesehen werden, so als wäre sie außerhalb des Ausführenden. Müßten nicht eher die einzelnen Teile der Tat bedacht werden? Ist das Wort "Straftat" in der psychologischen Therapie sinnvoll, hat es im therapeutischen Dialog noch einen Wert?

 

Mit dem Wort "Mehrdeutigkeit" ist solchen Wörtern, die für etwas Umgrenztes stehen, nicht beizukommen. Hier ist das Betrachten des Umgrenzten selbst sinnvoll, und ob man mit den entsprechenden Wörtern weiterkommt im Denken und Behandeln der Probleme.

 

Bei Begriffen, die gedachte Zusammenstellungen sind, entsteht die Frage, wie diese künstliche oder natürliche Zusammenstellung begrenzt sein soll. Dieses Thema wird später behandelt.

 

(13.6.2002)

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zum nächsten Text: Sachen sachen.htm. Dort wird ein Wort definiert, und in welchen Zusammenhängen ich es genau benutze.

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zur Übersicht: www.weltordnung.de

© Joseph Hipp