Von Sokrates bis zum Internet

Sokrates kann nicht gedacht werden ohne die Sophisten, die er nicht gerne hatte, weil sie Geld für etwas verlangten, das er kostenfrei abgab. Seine Argumente dafür sind bekannt. Hier ein erfundener Dialog zu dieser Frage, in dem Sokrates in etwa so wie C gesprochen hätte, und A für seine Sachen Geld verlangt, insbesondere für sein Wissen.

A Ich tue die Sache S für die Person oder die Personen B, und S ist etwas Gutes, und ich verlange Geld dafür.

C Du tust also zwei Sachen gleichzeitig?

A Ja, so ist es.

C Kannst du mehr dazu sagen?

A Nein, ich bin ein praktischer Mensch.

C Dann kann ich zwei Sätze sagen:

1. Du tust die Sache, weil sie dir als gut erscheint.

2. Du tust die Sache, weil du Geld lieber in deiner Tasche siehst als in der des anderen.

A Das stimmt.

C Du verwirrst mich. Als Außenstehender könnte ich, um dir gerecht zu werden, sagen, dass du die Sache zu 50 % machst, um Geld zu bekommen, und zu 50%, dem würde das Verhältnis 50/50 entsprechen. Ist das vorläufig richtig so gedacht.

A Ja.

C Das Verhältnis könnte aber auch 99/1 oder 1/99 sein.

A Das Verhältnis ist aber nicht so.

A Ich brauche Geld. Und auch wenn ich die Sache zu 99% für Geld machen würde, kann ich dir sagen, dass die 1% für das Gute getan werden.

C Das ist eine Ausrede. Bedenke das Wort "Ausrede". Anfänglich warst du wortkarg, Ich habe dir erst Satz für Satz, Wort für Wort aus dem Munde ziehen müssen, und ich ließ dich ausreden, nämlich so lange du es wolltest, ich musste mich bemühen, die Fragen zu stellen, du hast jetzt nur geredet, dich ausgeredet, Ausreden von dir gegeben, mehr nicht.

A Das stimmt, was du sagst, aber ich muss ja auch leben! Und dafür brauche ich Geld.

C Wieder ist das eine Ausrede. Vielleicht willst du ja nur in den Urlaub damit fahren, obwohl dadurch unsere Lebensgrundlagen gemindert werden. Wie kann ich kontrollieren, was du mit dem Geld machst?

A Gar nicht, das ist schließlich meine Privatsache.

C Da haben wir's. Wasser predigen und Wein trinken. Diese Haltung ist als Privatmoral zu sehen: Bei dir entsteht die Moral, für andere. Eine Ausrede kommt bei dir nach der anderen.

A Auch wenn ich zu 99% Geld verlange, so sind die 1% doch etwas Gutes, und nichts Schlechtes, schau, es gibt andere, die verlangen Geld, und die machen nichts Gutes. Und andere tun Schlechtes, ich nicht.

C Das ist eine andere Ausrede.

A Und noch dazu: Wenn ich es nicht so tue, tun es andere.

C Einerseits: "Was hast du mit den anderen zu tun? Orientierst du dich an den Schlechtes-Tuern?" Zudem ist deine Ausrede der Art "Universalargument mit einer Ausnahme"

A Was ist das denn?

C Angenommen es gibt 100 Leute, die alle etwas Schlechtes tun, tut jeder ein bestimmtes Maß an Schlechtem. Und es gibt jemanden, der am meisten Schlechtes tut. Nun kann fast jeder sagen: Es gibt andere, die mehr Schlechtes tun als ich. Diese Figur nenne ich "Universalargument mit einer Ausnahme." Es können jedoch mehrere Personen vorhanden sein, die an der höchsten Stelle des Schlechtes-Tun sind, es bleibt trotzdem die eine Ausnahme.

C Das habe ich verstanden.

A Gibst du mir eine letzte Chance, mich zu rechtfertigen, Geld zu nehmen, und doch zu meinen, Gutes zu tun?

C Wenn du mir sagst, was du tust. Was tust du denn Gutes?

(Bücherschreiber meint, Gutes zu tun)

A Ich schreibe Bücher, und in diesen steckt viel Wahres.

C Wenn du Bücher schreibst, kannst du das nur in deiner freien Zeit tun?

A Ja.

C Dann gibt es doch kein Problem für dich, zu schreiben, ohne Geld für die Bücher zu verlangen!

A Eigentlich nicht.

C Dann mache es endlich so!

A Es gibt aber andere, die nur schreiben können, sieh dir diesen Professor an: Der hatte noch nie einen Hammer in der Hand.

C Das macht die Situation nicht besser. Wenn diese Person so viel Wissen hätte wie er zu verbreiten denkt, dann braucht er nur wenig von diesem Wissen zu nehmen, es anzuwenden, und schon hat er genügend zum Leben. Und wenn er das nicht kann, ist schon das Wissen allein deswegen in Frage zu stellen. Das Wissen selbst kann er aber kostenfrei abgeben.

A Und wenn er das nicht kann.

C Dann tut er etwas anderes, um seinen Lebensunterhalt zu bekommen, oder er bettelt eben, betteln erniedrigt niemanden, wenn es um die Mindestlebensbedingungen geht. (Dieses Argument befindet sich explizit wenn ich mich nicht irre, bei Zenon, als die Freien sich darüber beschwerten, wegen Armut auch Tätigkeiten übernehmen mussten, die normalerweise Sklaven verrichteten.)

A Darf ich noch etwas sagen?

C Nur zu.

A Ich bin mir sicher, dass das Gute, das ich tue, bei Weitem das Neutrale, das ich tue, überwiegt, so dass ich insgesamt so weiter machen kann wie bisher.

C Du meinst also, dass du fähig bist, bzw. das Wissen hast, das so zu denken?

A Ja.

(Befangenheit und Esel des Buridan)

C Das ist eine Ausrede, die mir nicht genügt. Zudem ist dein System der Sätze, nach denen du zwei Sachen zusammen auf eine Waage legst, und sagst, dass die Waagschale zur guten Seite hin drückt, eine Entscheidung vor: Du bist schlimmer dran als der Esel des Buridan, du tust so, als wüsstest du, welche Seite auszuwählen ist, obwohl du befangen bist. Wenn eine Person meint, etwas Gutes mit einer Sache zu tun, und dann zusätzlich etwas dafür verlangt, dann ist sie befangen: Ihr kann nicht nur vorgeworfen werden, dass sie die Sache tut, um Vorteile zu erlangen, was einerseits stimmt. Sie denkt aber, dass sie trotzdem auch Gutes dabei tut. Die Antwort Sie ist deswegen befangen, ihr ist der Weg zum Denken versperrt ist, selbst zu wissen, ob sie die Sache deswegen tut, weil sie Vorteile von ihr hat, oder weil sie Gutes tun will. Du kannst gar nicht wissen, was du tust. So wie Jesus es nach mir sagte, gegenüber seinen Widersachern.

(Befangenheit ist vielleicht ein moderner Ausdruck, das kann gesucht werden.)

Kommentar: Die Figur des "Esel des Buridan" kann durchaus schon in der Zeit des Sokrates vorhanden gedacht werden. Siehe:

https://de.wikipedia.org/wiki/Buridans_Esel


dort bei den Einzelnachweisen:

http://www.ghazali.org/works/taf-eng.pdf


und bei Literatur: https://www.cyberchimp.co.uk/research/pdf/Tyler_Ass_and_Wolf.pdf

von dort zu:


Ghazali:

https://de.wikipedia.org/wiki/Al-Ghaz%C4%81l%C4%AB


von dort: "Der Erretter aus dem Irrtum"

https://ia902608.us.archive.org/33/items/DerErretterAusDemIrrtum/DerErretterAusDemIrrtum.pdf


und "Die Inkohärenz der Philosophen":

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Inkoh%C3%A4renz_der_Philosophen


und
https://plato.stanford.edu/entries/al-ghazali/



Fortsetzung des Dialogs

Weitere Gründe des Sokrates

A Gut, ich versuche mich jetzt zu bessern. Gibt es noch andere Gründe, die mich motivieren können, mich zu bessern?

C Ja, die Sophisten bilden Gruppen und sie verlangen Geld.

Kommentar: Sokrates und andere zeichneten ein schlechtes Bild der Sophisten.

siehe:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sophisten

dort:

"Prodikos von Keos soll laut Platon neben einem Billigkurs für eine Drachme einen gründlichen Kurs für 50 Drachmen angeboten haben."

(Kommentar: Lockmittelsystem)

und

"Nach Platon sind Tugend und Weisheit nicht käuflich."



So weit der Anfang des fiktiven Dialogs. Sokrates hatte schon andere Überlegungen zur Sache:

Geschichte der Verquickung von Wissens mit Interessen

Die Geschichte des Vereinigung des Wissens mit Geld und Macht wäre interessant zu schreiben. So lange das Wissen tradiert wurde, konnte es in Familien, Gruppen bleiben. Ab dem Zeitpunkt, an dem es überwiegend geschrieben wurde, konnte es zusätzlich zum Tradieren von den Reicheren in Büchern aufbewahrt bleiben, und diese konnten Vorteile damit erzielen. Sokrates bekannte sich aus verschiedenen Gründen für die Übertragung von Wissen im Gespräch, und gegen das Aufgeschriebene im Phaidros-Dialog.

Mit der Zeit wurde immer mehr aufgeschrieben, teilweise geheim gehalten, teilweise vermischt mit Interessen und Wünschen Einzelner und Gruppen, mit Meinungen und Glauben (Glaube in der Mehrzahl), wobei Meinung und Glaube nur mit Systemen von Wörtern, Sätzen und Texten gedacht werden können. Zudem mit Hoffnungen, Halbwissen, Fehlwissen, Prognosen.

Das Wissen wurde nicht nur gegen Geld abgegeben, es bildeten sich Gruppen, die das Wissen innerhalb ihrer Gruppe schützten, und innerhalb der Gruppen gab es Oberste, die am meisten wussten.

Mit der Zeit wurden immer andere Gruppen stärker. Einmal war es in Europa Gruppen mit Namen "Kirche", dann die Länderobrigkeiten über die Universitäten und umgekehrt, dann wieder die Verlage, und jetzt sind andere Gruppen am Zuge, die Informatiker könnten vielleicht schon genannt werden. Diese wirken jedoch zusammen mit Gruppen, die sich ihrer Intelligenz bedienen. Hierbei war das von Steve Jobs kritisierte Abwerbeverhalten von Google gegenüber Apple nur Kleinkram. Die Beschlagnahmung durch die Besitzer des Wissens hat immer mehr zugenommen. Die Idee des Internet und des freien Zugangs zum Wissen hat teils abgenommen, teils zugenommen. Die Verschmutzung der visuell aufgezeichneten Ereignisse hat zugenommen. Schon zu Beginn des Fernsehzeitalters nervten die lauter gestellten Werbezeiten. Schnell haben sich Filmzwischengruppen die freien Werke angeeignet und verschmutzen sie eifrig mit Unterbrechungen. Und die Leute finden es normal, zu zahlen.

Eine andere Sache kritisierte schon Arthur Schopenhauer, der gegen die Journalisten des Wissens schrieb, und seine Gegner gerne als Scharlatane bezeichnete. Diese Sache hat dann ihre Kulmination mit der Sokal-Affäre gefunden, und findet weitere Ausformungen mit der künstlichen Intelligenz.

Das Problem des Einzelnen kann aus einer anderen Perspektive beschrieben werden. Am Anfang geben ihr die Eltern ihr ganzes Wissen kostenfrei ab, nachher muss die Person in "die Schule" gehen, wobei die Besitzer des Wissens bezahlt werden, so dass jeder es normal findet, dass das so gehandhabt wird. Siehe Schule und Schulkritik: https://de.wikipedia.org/wiki/Schule#Schulkritik

Im Anschluss daran wird zwar von vielen Seiten noch auf ein möglichst breites Wissen als Ideal hingewiesen, und es ist für den Einzelnen durchaus möglich, dieses Ideal zumindest teilweise zu verfolgen. Beim Studium entsteht jedoch eine große Fähigkeit, Wissen zu bearbeiten, so dass dieses einerseits von anderen eingesetzt wird, und andererseits keine Anwendung findet. Wenige können neues Wissen herstellen, das angewandt werden kann.

Wenn nun ein Autodidakt sich weiteres Wissen aneignen will, steht er eventuell vor einer Gruppe, in der jeder etwas anderes sagt, so dass er sich als Tourist mit der Zeitmaschine in ein fiktives Babylon versetzt gedacht vorkommt, und die Babylonische Sprachverwirrung erleben kann. (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/B#Babylonische_Verwirrung)

Wenn ihm an jedem Tag ein Buch im Wert von fast 40 Euro empfohlen würde, hätte er eine Summe von 1200 € im Monat hinzulegen, und wenn er bei jedem Zitat noch die entsprechenden Bücher kaufen würde, bräuchte er sicher das Mehrfache. Die Kassierer des Geldes könnten sich entsprechend umfangreiche Urlaubsreisen gönnen, und schlussendlich würde der Autodidakt sich selbst als Verursacher der daraus bewirkten Grundlagenminderung ansehen. Zudem hätte er die Zeit nicht, diese Bücher alle zu lesen, umständlich zudem manchmal mit einer ihm fremden Sprache, und beim Entsorgen wären die Bücher wertlos, so dass er sich auch insgesamt nur in der Ursachekette der Verschmutzer fühlen könnte.

Der Dialog geht weiter:

(Zukunft vorhersehen, ab Immanuel Kant)

A Ich habe auch das Wissen, in die Zukunft hinein zu denken. Und ich kann viel vorhersehen. Ich hatte schon oft recht dabei. Und schau dir meine Mathematik-Kenntnisse an, ich kann gut rechnen, sogar vorausrechnen.

C Du denkst also auch noch in die Zukunft hinein, du könntest also die Formel des Descartes erweitern: "Ich denke in die Zukunft hinein, also bin ich". Ich habe noch nicht gehört, dass das möglich ist. Nur Hellseher und andere derartige Personen geben das vor. Wie stellst du dir das vor?

A Wie Immanuel Kant.

C Nein, das geht nicht. Niemand kann die Zukunft auch voraussehen, er kann versuchen, zu rechnen, zu denken, aber es bleiben zu viele Unsicherheiten. Der Zufall kommt in die zukünftige Kausalkette hinein, allein er macht einen Strich durch alle Rechnungen, der Zufall kommt wenn er will. Du kannst weder das Gute noch das Schlechte vorhersehen, die Vorschrift des Immanuel Kant, nach der jeder in die Zukunft denken sollte, und dann entscheiden sollte, was er tut, ist eine kontrafaktische. Das kann niemand. Also ist es am besten, so wenig wie möglich zu tun, weil man nicht sicher ist, was gut oder schlecht ist, man kann es jedoch in der Gegenwart wenigstens versuchen.

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