Gott als Urmonade

Am 18.3.2023 legte R. in einer Gesprächsrunde den folgenden Text vor:

In der Monadologie heißt es:

"§ 37. Daher muß die allerletzte Raison derer Dinge in einer schlechterdings notwendigen Substanz verborgen sein / in welcher der Inbegriff so vieler unendlicher Veränderungen nur in gradu eminenti, als in seiner Quelle liegen muß. Diese Substanz nennen wir Gott."

(Spinoza soweit nicht unähnlich.)

"§. 47. Also ist alleine Gott die allererste oder urständliche Monade / von welcher alle erschaffene Monaden sind hervorgebracht worden; und diese werden / so zu reden / durch die ununterbrochenen Strahlen oder fulgurationes der Gottheit / nach Proportion der eigentümlichen Fähigkeit einer Kreatur / welche ihrem Wesen nach umschränket ist / von einem Augenblick zum andern geboren."

Beides zitiert nach Gutenberg-Projekt in Übersetzung v. H. Köhler.

R: Das hier klingt in meiner Interpretation so, dass Gott bei Leibniz die Urmonade ist.

Darauf hin antwortete S. am 19.03.2023:

Ja, definitiv hat Leibniz Gott als Ur-Monade gesehen, aus der alle anderen hervorgegangen sind.

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Was kann zu diesem kurzen Schriftwechsel gesagt werden?

Der Satz des S. geht zumindest von einer impliziten Annahme aus, dass es möglich ist, so zu denken wie Leibniz einige Jahrhunderte vorher.

Eine erste Suche nach dem Originaltext ergab, dass Gottfried Wilhelm Leibniz diesen in französischer Sprache schrieb (warum, ist hier unbekannt). Die Einführung, die bei folgendem Link vorliegt, präzisiert, dass es nicht einfach ist, mit Leibniz zu denken, ohne ihn studiert zu haben. (französisch, mit einem Teil des Textes: La monadologie)

Der Originaltext des Leibniz mitsamt der ins Deutsche übersetzten Version ist hier verfügbar: Monadologie und andere metaphysische Schriften
Dort sind auf Pdf-Seite 160 (F) und 161 (D) die Absätze, die am Anfang von R. zitiert wurden. Die Paragrafen ab § 38 können nur mit Bezug auf die vorherigen verstanden werden. Bei § 38 (oben § 37, es gibt eine Zahlenverschiebung) bezieht Leibniz sich auf Ausdrücke in § 34: "C’est ainsi que chez Mathématiciens les Theoremes de Spéculation et les Canons de practique sont réduits par l’Analyse aux Définitions, Axiomes et Demandes." Er macht weiter ganz klar die Trennung zwischen Wahrheiten, celles de Raisonnement et celles de Fait, also aus denkend erschlossenen und gefundenen. (Warum "denkend erschlossen?" Es gibt zwar im Deutschen das Wort Vernunft, aber keines für "Denken mit Vernunft", das mit dem Wort Raisonnement gedacht werden kann.)

38. Et c’est ainsi que la dernière raison des choses doit être dans une substance nécessaire, dans la quelle le detail des changemens ne soit qu’éminemment, comme dans la source: et c’est ce que nous appelions Dieu.

38. Und so muß der letzte Grund der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, worin einzelne Veränderungen allein eminent sind, wie in ihrer Quelle, und dies nennen wir Gott.

39. Or cette substance étant une raison suffisante de tout ce detail, lequel aussi est lié par tout; il n’y a qu’un Dieu et ce Dieu suffit.

39. Nun ist diese Substanz ein zureichender Grund aller Einzelheit, welches zudem überall verbunden ist; es gibt nur einen Gott, und dieser Gott reicht zu.

Aus zeitökonomischen Gründen geht es leider nicht weiter mit § 47. Schon bis zu § 39 ist auch ohne das Wort Monade zu erkennen, wie Leibniz auf das Wort Gott kommt, zu dem ab dem Zeitpunkt die entsprechende Sache gedacht werden soll. (Im Sprachgebrauch Bezeichnetes, Benanntes statt "Sache", das spielt hier keine Rolle.)

§ 39 könnte bösartig so interpretiert werden: Es gibt nur einen Gott, und damit basta!

Zurück zu Leibniz § 38. Hier kommt das Wort "muss" vor. Das ist jedenfalls schon fragwürdig. Es ist so wie der Satz: "Überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen". Ein Ausdruck, der ein "muss" enthält, kann dann gebraucht werden, wenn eine Person sich selbst oder andere auf das einstimmt, etwa mit dem hermeneutischen Zirkel, was dann kommt. In § 39 wird das "muss" begründet, die Begründung ergibt sich aus dem Beispiel in § 34, so dass es mehr wird als ein "muss". Die Beweisart mit dem "zureichenden Grund" ist in der Mathematik vermutlich geläufig. Und siehe da, unter https://de.wikipedia.org/wiki/Satz_vom_zureichenden_Grund wird insbesondere Leibniz zitiert, und dass er diese Beweisart für seine Theodizee nutzt. Eureka.

Zu Lebenszeiten von Leibniz (1646 bis 1716), wurden Theodizeen noch praktiziert, diesen gab bekanntlich Kant (1724 bis 1804) später einen Dämpfer. Somit ist jeder, der sich allein auf Leibniz bezieht, so, als wäre Kant nicht in der Zwischenzeit vorhanden gewesen. Die Sache, die Kant noch für das Wort Gott beschrieben hätte oder hat, muss eine andere geworden sein. Daraus ergibt sich: Diese Sache kann vermutlich je nach Person, Zeit, Zusammenhang anders gedacht werden. Hier ist auch an die Kontextdefinition zu denken. https://de.wikipedia.org/wiki/Definition, dort bei Kontextdefinition der Absatz:

"Dieser ontologische Unterschied erspart etwa der modernen Mathematik die philosophische Frage nach dem Wesen der Zahl (empirisch, psychologistisch oder logisch). Denn die mathematischen Axiome sagen nicht, was eine Zahl ist, sondern wann sich etwas Zahl nennen darf und welche arithmetischen Eigenschaften sodann für diese gelten."

Analog dazu kann außerhalb von Mathematik Hans Vaihinger mit der von ihm vorgeschlagenen Fiktionsart erwähnt werden, mit der die Frage nach dem Wesen einer Sache nicht mehr erforderlich wurde. (Dies ist hier nicht genügend ausgeführt.)

S. wurde nicht müde, mit dem Wort Gott oder Wörtern, die vom Lemma her synonym zu denken sind, entsprechenden Definitionen oder Begriffsbestimmungen, und mit Sätzen, die kompatibel mit neuzeitlichen Kenntnissen sind, auf die von ihm gedachte Sache hinzuweisen. Und andere wurden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es die Sache so nicht gibt. Und das alles trotz Immanuel Kant. Zudem scheint Kant nie gehört zu haben, dass es vor seinen Lebzeiten schon Sprachphilosophie gab, und dass diese sich zumindest in ihren Anfängen hervorkehrte.

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