Gemeinsames tun oder nicht

Es ist vorerst das folgende Bild zu denken. Weizenkörner liegen verstreut am Boden, Vögel kommen angeflogen und picken sie auf. Es ist ein Gedränge, aber kein gemeinsames Tun. Es kann gesagt werden, dass die Körner für die Vögel gemeinsam vorliegen. Wenn einige Personen mit einem Bus gefahren wurden, der unterwegs stehen blieb und nicht mehr weiter konnte, dann hat jeder dasselbe Problem, nämlich zu seinem Ziel zu gelangen. Sie könnten jeder für sich eine Lösung suchen, oder aber gemeinsam im Gespräch. So könnte jeder, einer nach dem anderen, seinen Satz vor dem kaputten Fahrzeug sagen:

Bestimmt sind die Räder blockiert.
Gut, dass du das Schweigen gebrochen hast, und deine Meinung sagst.
Ich bin nicht nur für die freie Meinungsäußerung, sondern für die herrschaftsfreie Kommunikation.
Ich habe eine Idee: Ich glaube es ist kein Benzin im Tank.
Ich habe dem Fahrer von Anfang an nicht getraut.
Meiner Meinung nach ist etwas gebrochen.
Ich kann nicht hier bleiben, ich muss meine Hühner füttern.
Der Fahrzeugverkäufer muss ein neues Auto liefern.
Ich rufe meinen Anwalt an.
Ganz sicher ist der Motor defekt.
Ihr habt ein Problem, ich nicht, ich war Langläufer und breche jetzt auf.
Es gibt keine Lösung, es ist sinnlos, miteinander zu reden.
Geht doch zurück in die Schule und lernt!
Warum musste mir auch das noch passieren, ich hatte eine schlimme Vergangenheit.
Ich finde es dumm, zu sagen, die Räder wären blockiert.
Moment mal, ich halte das alles nicht mehr aus, hört auf!
Tut was, so wie ich, ich hole schon mal den Werkzeugkoffer heraus.
Und ich putze die Scheinwerfer. Wenn jeder seinen Beitrag leistet, dann kommen wir der Lösung näher.
Bestimmt hat einer das Fahrzeug manipuliert.
Wenn wir gemeinsam das richtige Bewusstsein haben, kommen wir weiter, es geht um ein Lösungsbewusstsein, und um die Hoffnung.
Einer von euch hat mich mit seinem Satz beleidigt.
Im Buch des Manitu steht die Lösung des Problems geschrieben, auf Seite 376.
Ich bin Professor, ich weiß, dass die Lösung so nicht möglich ist.
Das ist doch alles eine Verschwörungstheorie.
Hört auf zu philosophieren, hört auf mit eurer misslichen Weltsicht!
Das meine ich auch, Weltuntergangsdenken hat es schon immer gegeben.

Wem ist mit den Sätzen geholfen? Es ist schon ein guter Anfang. Es kann ja sein, dass der eine näher am Problem ist als der andere, aber so geht kein Mechaniker vor. Jeder der Sätze gibt etwas vor, das vermutlich nicht zur Sache gehört, und doch wird die Sache mit jedem Satz irgendwie in Gedanken zu Ende geführt oder zumindest wird eine Fährte damit nach irgendwo hin gelegt, ob sie hilft oder nicht, ist offen.

Ich gehe mittlerweile davon aus, dass die Personen meiner Umgebung sich nicht mit anderen auseinander setzen wollen, können, und es wahrscheinlich nie gelernt haben. Und zusätzlich nicht zu vorhandenen gemeinsamen Sachen. Einige wollen mit anderen sprechen, wobei sie dann nicht das Gemeinsame mit der gerade vorhandenen Person erkunden und vielleicht sogar erweitern wollen, sondern sie wollen nur das, was sie selbst tun, weiter tun. Sie teilen das mit, und warten auf eine Bestätigung. Einige wollen nur reden, anderen ihre Sorgen erzählen, wieder andere sind dermaßen passiv, dass ihnen Wort für Wort aus dem Munde gezogen werden müsste. Einige sind vollkommen schweigend. Einige wollen zwar hinzulernen, und viele von ihnen nur das, was in ihrem Schema einen Erfolg verspricht. Wenn sie Geld einnehmen wollen, wollen sie lernen, wie sie mehr Geld einnehmen können, mehr nicht. Wenn sie etwas Fremdes hören, sagen sie: Das hat mich noch nie interessiert. Sie können ein Thema haben, aus ihrer Arbeitswelt oder ihrer Freizeitwelt, alles andere besprechen sie nicht. Hinzu kommt noch die Geheimhaltung. Viele haben schlechte Erfahrungen mit dem Reden, sie sehen vieles als eine Kritik an, was nur bemerkt wird. Eine Bestandsaufnahme machen sie selbst selten, und wenn, dann suchen sie, über sie hinweg zu kommen. Dann etwas Gemeinsames miteinander zu tun, das bringen sie kaum fertig, höchstens zusammen das Essen zubereiten, zusammen zu essen wie im obigen Beispiel die Körner pickenden Vögel. Das ist schon ein guter Anfang.

Wegen alledem frage ich: Was ist das Gemeinsame, was du zulässt, mit anderen, wenn du sie vor dir hättest, wenn du mit ihnen leben würdest? Bist du bereit, mehr als nur über etwas zu reden? Würdest du etwas Gemeinsames in Angriff zu nehmen? Was denn? Wenn du etwas tust, bist du bereit, dass der andere an deiner Sache mit hilft? Oder hast du Zeit, beim anderen an einer Sache mit zu arbeiten? Ich weiß, deine Zeit hat nur vierundzwanzig Stunden am Tag, und diese Zeit ist belegt, du hast nicht mehr als das. Wenn ich das von dir höre, dann klingt es so, als hätten andere jeder hundert Stunden am Tag. Dass du wertvoll bist, das finde ich auch, aber das ändert nichts an der Sache. Also wenn du keine Zeit für mich hast, passe ich nicht in deine Zeit, ich bin dann außerhalb deiner Zeit, ich bin ausgeschlossen. Oder du schließt dich vor mir ein. Wenn du so viel Freunde hast, wenn dir gar einer genügt, habe ich dann einen Wert für dich? Es kann auch etwas sein, was dich fasziniert, und dir alle Zeit nimmt, oder aber es kann ein Übel sein, das du ständig loswerden willst, und du deswegen keine Zeit hast. Es kann dein Beruf, deine Hauptbeschäftigung sein. Deine Präsenz in deiner Küche, für deinen Hund, deinen Fernseher, deine Kinder, deinen Verein, deine Politik, deine Religion, deinen Urlaub.

Wenn du also sicher bist, dass es nicht möglich ist, etwas Gemeinsames zu tun, zu bedenken, und zwar wirklich gemeinsam, dann bleiben wir beide doch lieber jeder für sich. Und wenn wir reden, dann versuchen wir unser Gespräch kurz zu halten. Dann verstehe bitte, dass ich auch dir aus dem Wege gehe und dir deine Zeit nicht nehme. Wenn du jedoch Antworten auf meine Fragen hast, freue ich mich, wenn du sie mir schreibst. Im Gegenzug kann ich auch deine Fragen beantworten. Bedenke auch, dass es nicht nur um Fragen geht, sondern um Sätze. Wenn daraus ein gemeinsames Vorgehen entsteht, stehe ich dem nicht entgegen. Auch ein gemeinsames Sagen ist ein guter Anfang. Aber nicht ein nur gegenseitiger Meinungsvortrag. Nebensächliches Sagen hilft meist nicht, das ist ein Sagen neben der Sache. Es kann jedoch bei demjenigen, der die Sache im Blick hält, eine neue Idee bewirken, mehr nicht, aber zumindest ist es das, insbesondere wenn er ratlos ist. Das Nur-Starren auf die Sache genügt auch nicht. Und bedenke noch: Jemandem helfen ist noch nicht, etwas Gemeinsames mit ihm tun.

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