Solipsismus

 

Existentialismus aus solipsistischer Sicht

 

Der erste Zugang zum Verständnis des Solipsismus ist, daß ein Subjekt nur träumt, daß es die Welt keineswegs erleben kann, daß es nichts über die Welt wissen kann. Es hat keinen Willen. In ihm ist keine Instanz, mit dem es über sich bestimmt. Nur seine eigenen Regungen arbeiten in ihm, manchmal in Widerstreit, so wie ein Knäuel wilder Schlangen. Es erlebt nur seine eigenen Träume, nicht jedoch die Welt. Und wenn es glaubt, mit Sonstigem in Kontakt zu sein, so doch nur mit Traumfiguren, die keine Realität haben. Und weil es nicht aus dieser Traumwelt heraus kommt, wie kann es dann wissen, daß es eine wirkliche Welt gibt?

 

Wenn wir träumen, erfahren wir später, daß das Geträumte nicht wirklich war. Um festzustellen, ob wir in der Welt, die wir als die wirkliche ansehen, auch nur träumen, müßten wir in eine uns unbekannte wirklichere Welt einsteigen können, was uns ja verwehrt sein kann.

 

Lieber als uns selbst sehen wir andere in ihrer Traumwelt, währenddem wir uns in der wirklichen Welt wähnen. Es ist ungeheuer schwer für ein Subjekt, die Möglichkeit des Solipsismus für sich zu denken. Vielleicht wegen der dann zu Tage tretenden Widersprüche und Probleme. Andererseits entstehen nach der Annahme des Solipsismus als Arbeitshypothese oder als Fiktion Einsichten, die ohne sie nicht so leicht entstehen können. Aus diesem Grunde ist der Solipsismus auch dann zu bedenken, wenn man ihn nicht annimmt.

 

Wer den Solipsismus also bedenkt, weiß von vornherein, daß er nicht die Möglichkeit hat, Einfluß auf sich selbst zu nehmen. Er meint, daß Ziele eigentlich nur für Narren sein können. Was bleibt? Was denkt das Subjekt überhaupt, wenn es über keine einzige Sache nachdenken kann, und eine Sache nur sozusagen in ihm agiert, was alsdann als denken bezeichnet wird? Ist das Subjekt nur das, was von außen und innen hervorquillt?

 

Solipsismus und Weltverbundenheit

 

Wenn das Subjekt nur träumt, und seine Welt sich auf den Traum beschränkt, so ist seine Welt in ihm und damit sein Ich und seine Welt eins. Wer diese Möglichkeit für sich selbst bedenkt, wenn auch nur hypothetisch, muß auch glauben, nur Teil eines Ganzen zu sein. So führt das Denken des Solipsismus zu einer zumindest theoretischen Weltverbundenheit. Was ist Weltverbundenheit? Es gibt eine Verbundenheit zwischen Personen, wenn sie Einfaches miteinander erleben. Einfaches soll hier heißen, daß dazu nur wenig Sinne mitwirken müssen. Es können aber gleich welche Sinne sein. So kann Musik eine Gruppe verbinden. Auch gemeinsam bedachte Geschichten können verbinden. Erweitert und extrapoliert führt das Denken und Erleben mit anderen Personen auf ein allumfassendes Erleben und Bedenken der Weltverbundenheit. Auch das Denken an den vorauszusehenden Tod sowie an die unendlich geringe Wichtigkeit seiner selbst im Universum kann theoretisch wie auch sonst eine Weltverbundenheit zu denken geben. Weitere Bedingungen, die dies auch vermögen sind: Das Sehen der Größe schlechthin, z.B. der Größe des Weltalls, das Erleben der Güte eines anderen, das Erleben der Trauer usw. Weltverbundenheit in diesem Sinne ist kein einzelner Gedanke im umgangssprachlichen Sinne. Weil das Ich mit der Welt im Solipsismus verschmilzt, hat Solipsismus schon deswegen nichts mit Egoismus zu tun. (Das Wort Egoismus ist außerdem allgemein fragwürdig, und kann nur im ungenauen Sinne gebraucht werden.) Wenn man es mit den zwei Wörtern nicht genau nimmt, kann Egoismus als das Gegenteil von Weltverbundenheit angesehen werden. Wie steht es denn mit den anderen Wörtern, die auf der Weltverbundenheit beruhen, und eine Mischung verschiedener anderer Begebenheiten sind? Diese Wörter stellen sich anstelle der Weltverbundenheit in den Vordergrund. So etwa Liebe, Religion, Mystik, Weltauffassungen. Wenn Liebe eine Beschränkung auf die Zweisamkeit bedeutet, ist sie nur eine erweiterte Art erweiterter Egoismus. Sogar dann, wenn sie sich auf die ganze Welt oder sonstige Instanzen beziehen will, wozu sie bekanntlich sowieso impotent ist. Die anderen Wörter, die sich in den Vordergrund stellen wollen und die Weltverbundenheit auf sich beziehen wollen, sind meist Zusammenstellungen, Rezepte, welche die dabei vorgetragenen Ideen vereinigen sollen.

 

Die vage Kenntnis der Weltverbundenheit bringt manche dazu, sich unbewußt mit der Welt zu vermischen, sich zu berauschen, das Glück und manches andere zu suchen. Dies kann jedoch der Versuch sein, eine starke Selbstbezogenheit durch ein Sich-Fallen-Lassen in die Welt wettzumachen.

Praktischer Solipsismus

Es ist sehr schwer, sich als Spielball von allem Umgebenden und Internen anzusehen. Demgegenüber lockt ständig der Individualismus und die scheinbare Konstanz des Ich und der Person. Das Subjekt ist ständigen Schwankungen unterlegen. Es ist sich selbst nicht gleich, es hat keine Konstanz. So genügt ein Glas Alkohol, oder das Spiel von bestimmten Tönen und die Anwesenheit bestimmter Personen, um die Welt ganz anders zu sehen und um ganz anders als vorher zu handeln. Es ist wie Schizophrenie, bei der eine Person plötzlich eine andere sein kann. Es könnte sein, daß die üblichen nüchternen Erlebnisse nicht die richtigen Entscheidungen bewirken, und daß die "wahren, nicht-nüchternen" Erlebnisse tiefer und verborgener sind, und auf diese Weise ständig am Werk sind, und alle Kraft daran setzen, damit das Subjekt sich doch fallen lasse, um richtig entscheiden zu können.

 

Diese Überlegungen gehen weiter und anders als diejenigen, die ein sogenanntes Unbewußtes als eigentliche Ursachestelle angeben. Die Theorie des Unbewußten ist nur ein Realismus wie jeder andere, d.h. es wird eine Instanz als die in bestimmten Fällen allein wirksame oder wichtigste angesehen. Und doch zeigt das Vorhandensein dieser Theorie des Unbewußten, die aus der Sprache heraus entstand, was eine mit sich selbst in Widersprüchen stehende Person sein könnte. Die Suche einer Einheit der Person, die mit sich selbst in Harmonie leben sollte, entlarvt sich als ein völliges Mißverstehen der wahren Verhältnisse.

 

Der Solipsismus ist in dem Sinne schwer zu leben, weil es kein Ende und keine Konstanz gibt, sondern ein ständiges Suchen und Getriebenwerden.

 

Lebende Beispiele hierzu sind Personen, die sich von einem Tag zum anderen ändern, in dem Sinne, daß sie ihre vorherigen Haltungen als falsch erachten. So das Mitglied einer anarchistischen Gruppe, das die Gewalt als Mittel annimmt und Jahrzehnte später ablehnt. So die Person, die in die Drogenwelt eintritt oder umgekehrt. So die religiöse Person, die es vorher nie war oder umgekehrt. So die Person, die ihren Geliebten plötzlich zu hassen beginnt.

Was bleibt noch zu tun, wenn alles nur abläuft?

 

Wenn das Entscheiden unmöglich ist, so scheint es "möglicher" zu sein, das Auftretende zu teilen in Spreu und Weizen, in solches, mit dem man zu tun hat, und solches, mit dem man nichts zu tun hat. Aber auch dies ist gleichermaßen mit der Aporie behaftet. Erlebnisse, die im nachhinein als unwesentlich angesehen werden, mögen beim Auftreten besonders stark gewichtet gewesen sein, und das Urteil im nachhinein lag noch nicht vor. So geht es ständig hin und her zwischen diesem Gewogenwerden und dem scheinbaren Feststellen des Gewollten, Ungewollten bzw. dem Überblick über das Geschehen. Und die "Scheinbarkeit" ist in allem vorhanden.

 

(13.6.2002)
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zum nächsten Text: dasrichtige.htm Das Richtige und das Wichtige. - Was habe ich zu tun mit...?

 

mit folgender Beschreibung:

 

Hier wird die Frage gestellt, ob es neben dem, was uns wichtig ist, etwas Richtiges gibt, was wir tun sollten. Die Frage wird gestellt, ob Pläne uns zum Richtigen führen können.
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zur Übersicht: www.weltordnung.de

© Joseph Hipp